Nico Bohny gewinnt das Season 2 MOCS

Hör mal wer da hämmert

Einmal Showcase und zurück

Autor: Nico Bohny

Letztes Wochenende habe ich 20.000 $ beim Magicspielen verdient. Echt jetzt. Im Pyjama, um 3.00 nachts, alleine vor meinem PC stehend.

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Weil ja, vor dem PC sitzen bekommt dem Rücken des alten Mannes nicht mehr gut, deshalb Stehpult. Tönt ordentlich surreal, nicht wahr?

So fühlt sich die Angelegenheit auch an. Früher, als ich noch jung war, Damage auf den Stack ging und man sich noch per Handschlag begrüßte, hab ich ab und zu an Pro Touren und Grand Prix (veraltete Begriffe, ich weiß, so hießen die Turniere früher nun mal) um einen ordentlichen Batzen Geld gespielt, aber dann wurde am Abend mit den mitgereisten Jungs in die Nacht gefeiert.

Stattdessen gewinne um 3.00 nachts ein Turnier, freue mich ja nicht zu laut, damit ich die schlafenden Kinder und meine Frau nicht wecke, teile stattdessen meine Freude mit dem Kühlschrank, der mir gönnerhaft ein Gewinnerbier ausgibt, und begebe mich dann auf Zehenspitzen ins Bett.

Wie die Zeiten sich geändert haben. Aber jetzt mal ganz von vorne.

Magic spiele ich mittlerweile in zweierlei Form. Einmal pro Woche zum Draften an meiner Küchentischrunde, und auf Magic Online ab und zu einen Draft und an den Wochenenden hie und da ein Vintageturnier. Gewonnene Drafts und gute Resultate im Vintage ergeben auf Magic Online dann sogenannte QPs (Qualifier Points), mit welchen man in der entsprechenden Season eine Showcase Challenge spielen kann.

Diese Challenges gibt es in fast allen Formaten, umfassen zwischen einhundert und dreihundert Spieler, und die Top 8 jedes Turnieres qualifiziert sich dann für den Showcase Qualifier des entsprechenden Formates. So weit, so klar?

Aber Moment, wir sind noch nicht am Ende der Odyssey. Für die Showcase Qualifiers qualifizieren sich pro Format rund 24 Spieler, und hier kommt das goldene Ticket ins Spiel.

Der Weg ist das Ziel

Wer nämlich einen Showcase Qualifier gewinnt, qualifiziert sich für das Showcase Turnier, an welchem man zu acht um einen Hauptgewinn von 20.000 $ spielt.

Selbst die Plätze 5-8 werden mit 5000 $ entlohnt, was ja durchaus nicht ganz ohne ist. Da ich ein Freund von Herausforderungen bin, um das Format Vintage besser zu verstehen, und um einen witzigen Aufhänger für meinen Stream zu haben, habe ich mir im Übrigen selbst die Auflage gesetzt, in 30 Vintageturnieren 30 verschiedene Decks zu spielen.

Mit dem 23sten Deck habe ich dann den Showcase Qualifier gewonnen. Der Weg bis hin zum Showcase Event war also nicht ganz einfach und frustfrei, dennoch habe ich mit ein bisschen Können und noch etwas mehr Glück mit folgendem Vintagedeck den Einzug ins Finale geschafft:

Jeskai Mentor

Vintage Cube und Modern sind die beiden Formate, welche am Showcaseturnier gespielt werden.

Die Vorbereitung

Cube spiele ich sehr gerne, wenn auch nie wirklich kompetitiv, sondern immer meinen Präferenzen folgend, frei nach dem Lustprinzip blaue Instants aufsammelnd, um danach von beliebigen günstigen Karten des Gegners dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.

Modern auf der anderen Seite ist ein Format, welches sich meiner Kenntnis komplett entzieht. Ich weiß zwar durchaus, dass Modern Horizons 2 mit Karten wie Ragavan, Urza’s Saga und Solitude einiges am Format geändert hat, warum und inwiefern genau übersteigt aber meine Vorstellungskraft.

Ich nehme mir also fest vor, das Format zu testen, denn das sollte man für ein Turnier mit derart steilen Preisen natürlich tun. Und verliere gleich die erste Runde an meinen inneren Schweinehund, der sich mit Alternativen wie Diablo 2 Resurrected oder Innistraddrafts über mein Ziel hinwegsetzt.

In meinen wenigen Modernexkusionen spiele ich in erster Linie Hammertime und Cascade Rhinos, zwei Decks mit unfairen Komponenten, welche mir vom Playstyle eigentlich ganz gut liegen.

Für beide Decks finde ich auch gute Artikel, welche mir die Decks etwas näherbringen, ohne dass ich zu viel Zeit ins Testen investieren muss. Die Wochen verstreichen, und nachdem ich mich zwischendurch wieder in Vintage- und Standardturniere verirre, merke ich, dass selbst das hohe Preisgeld des Turniers mein Desinteresse für Modern nicht wettmachen kann.

Also fasse ich zwei Entschlüsse: Erstens – ich spiele Hammertime. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Gegner mehr Ahnung von Modern haben werden, daher greife ich auf das schnellste Deck mit den explosivsten Draws zurück.

Desto länger die Spiele dauern, desto mehr Chancen gebe ich meinen Gegnern, von ihrem Wissensvorteil zu profitieren. Zweitens: Ich verzichte zwei Wochen auf Alkohol und Zucker, achte auf genügend Schlaf und treibe wieder mehr Sport.

Wenn ich mich schon spielerisch nicht optimal vorbereiten kann, sorge ich wenigstens dafür, dass ich maximal fit bin und meine Konzentration sich nicht in der Hälfte des Turniers verabschiedet.

Die Entschlüsse zeigen Wirkung. Die getroffene Deckwahl entlastet mich, weckt meine Neugier, mein Deck zu optimieren und es dem erwarteten Metagame wie auch meinen persönlichen Präferenzen anzupassen.

Meine Konzentration steigt, und während meinen Joggingrunden habe ich Zeit genug, neue Ideen zu entwickeln und diese auszuprobieren. Eine Woche vor dem Turnier lässt sich auch der Vintage Cube wieder auf Magic Online spielen, und hier lässt mich meine Motivation zum Glück nicht im Stich.

Mit meinem früheren Teamweltmeisterkomplizen Manuel Bucher tausche ich mich über die Archetypen und Strategien des Cubes aus, erweitere mein Verständnis der Limitedumgebung, und erhalte stückchenweise eine ganzheitlichere Herangehensweise zum Draften.

Die Tage ziehen ins Land, Tag X naht und der Alltag nimmt seinen Lauf. Kurz vor dem Turnier werden noch die Statistiken der acht Spieler veröffentlicht, welche mich einerseits alt aussehen lassen (bezüglich meinem Alter), gleichzeitig aber auch meine Gegner (bezüglich den Win Rates).

Das ist gut fürs Selbstbewusstsein und kompensiert meine Angst ein wenig, den anderen Spielern spielerisch komplett unterlegen zu sein. Am Samstag des Turniers genieße ich mit den Kindern den regnerischen Tag an der Basler Herbstmesse, um mich dann, schon etwas abgekämpft vom ersten Teil des Tages, vor meinem PC einzufinden. Gekühlter Schwarztee, Nüsse und Heidelbeeren stehen bereit – es kann losgehen.

Das Main Event

Vintage Cube

Der Vintage Cube beginnt: Ich starte mit einem Channel und erhalte weitere grüne Abnormalitäten wie Rofellos , Llanowar Emissary, Craterhoof Behemoth, Green Sun’s Zenith und Ignoble Hierarch, und bin mir nach dem unfassbar starken ersten Pack sicher, dass ich mich in einem offenen Archetyp befinde und ein super Deck draften kann. Die weiteren Packs zeigen sich etwas schwächer, dennoch beende ich den Draft mit einem überdurchschnittlichen Deck.

Vintage Cube Draft

Leider werde ich gleich in der ersten Runde gegen mein herausforderndstes Matchup gelost – Schwarz/Blau Reanimator, mit früher Interaktion gegen meine Manaelfen, sowie etlichen Möglichkeiten, früh im Spiel Griselbrand, Archon of Cruelty oder Massacre Wurm zu reanimieren. Ich verliere die Runde und bin schon mal ordentlich enttäuscht – so habe ich mir den Start des Turniers nicht vorgestellt.

In der zweiten Runde wird es nicht besser. Zwar spiele ich gegen ein deutlich schwächeres Deck, mein Deck verweigert aber seinen Dienst komplett und zerfällt zwischen Mulligans und einseitigen Draws komplett.

Na bravo. Die letzte Runde kann ich zwar noch gewinnen, aber dennoch bleibt der Frust – wenn ich in diesem Turnier jemals eine reelle Chance gehabt hätte, mich in den Final zu spielen, dann mit Limited. Es bleibt die Möglichkeit, im Modern zu punkten.

Modern

Hammertime

Alle meine Modernspiele lassen sich auf www.twitch.tv/magic anschauen. Ich nehme mir aktiv genügend Zeit, um meine Spielzüge zu überdenken, und fühle mich dadurch am Anfang recht unsicher.

Gleichzeitig scheint alles ganz gut aufzugehen, ich produziere zwar gelegentlich etwas holprige Moves, meistens aber treffe ich gute Entscheidungen, wie ich dann nachträglich im Stream feststelle.

Und irgendwie schaffe ich, bzw. mein Deck es tatsächlich, sich zwischen den Gegnern hindurchzuschlängeln und das Finale zu erreichen. Dort spiele ich gegen Marcela aus Brasilien, die Gewinnerin des Cube Draftes, gegen welche ich im Modern bereits in Runde 4 spielen und gewinnen durfte.

Einmal mehr zeigt sich mein Deck von seiner besten Seite, während ich schon ziemlich müde in meine Kamera blinzle – das Finalspiel wird nämlich live samt Bild übertragen. Es wird ordentlich gehämmert, und rund eine halbe Stunde später habe ich das Event gewonnen. Irgendwie kann ich gar nicht richtig fassen, was genau passiert ist. Ich bin gleichzeitig müde und voller Adrenalin, gleichzeitig glücklich und verwirrt.

Der Sieg

Wie werde ich das wohl am Montag bei der Arbeit erzählen? Hey, hört mal, letzten Samstag habe ich mit einem Hammer auf eine Brasilianerin eingeprügelt, bis ich alles Geld gekriegt hab.

Vielleicht besser nicht, sonst hetzen sie mir noch die Polizei am Hals. Vielleicht besser klassisch nerdig: Letztes Wochenende habe ich 20.000 $ beim Magicspielen verdient. Echt jetzt. Im Pyjama, um 3.00 nachts, alleine vor meinem PC stehend…

Über den Autor

Nico Bohny ist Schweizer und pensionierter Pro-Player. Seine Erfolge als Spieler beinhalten zwei Pro Tour und zwei Grand Prix Top 8 Platzierungen, sowie einen Weltmeistertitel mit dem Schweizer Team bei der WM 2007 in New York. Dort konnten die Eidgenossen das österreichische Team im Finale besiegen. Er begeistert sich für Vintage Magic und ist ein erfahrener und kreativer Limited Spieler.

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